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Samstag, 14. November 2015

Oktober 2015

Blick von meinem Balkon

Buenas!
Ich heiße Jan Rullmann, bin 18 Jahre alt und komme aus dem Oldenburger Land. Jetzt, da ich das Abitur hinter mir habe und noch nicht weiß, was ich studieren werde, bin ich seit dem 29. September 2015 für acht Monate hier in Spanien gelandet und leiste einen EFD. Bis Ende Mai 2016 werde ich hier in dem Örtchen La Roda in der Nähe von Albacete in Kastilien–La Mancha wohnen (südöstliches Inland Spaniens). Ich arbeite zusammen mit einer Freiwilligen aus Russland in einer kleinen Schule hier im Ort als Hilfsenglischlehrer.
Ich liebe Sprachen im Allgemeinen (spreche Deutsch und Englisch fließend, Spanisch inzwischen immer besser, habe das kleine Latinum) und wollte mein Schulspanisch verbessern, da ich jedes Jahr in Spanien bin und nicht nur typisch touristische Urlaube hatte, sodass ich die spanische Kultur schon relativ gut kenne. Spanien ist jedoch ein Land der Regionen, sodass man überall sehr viel Neues lernen kann, dennoch auch viele Gemeinsamkeiten feststellt. Tortilla, Paella und Flamenco gibt es hier schließlich überall! Von „Pisto Manchego“ (kann man eventuell als Paprikaeintopf beschreiben) und vielen regionaltypischen Tapas habe ich jedoch noch nicht gehört. Auch den „Cocido Madrileño“ (typisch madrilenischer & allgemein zentralspanischer mehrgängiger Eintopf) konnte ich bis vor wenigen Wochen noch nie probieren.
Dass Spanier allgemein chaotischer sind, als wir Deutschen, ist wohl ein sehr bekanntes Klischee, das ich jedoch bereits bestätigen konnte, als ich noch in Deutschland war. Nach der Aufnahmebestätigung, gab es oft große Unsicherheiten, weil ich monatelang nichts gehört hatte und auf die Mails nur sehr sporadisch geantwortet wurde. Außerdem wusste ich noch am Tag meiner Hinreise nicht so genau, was ich hier überhaupt machen werde; abgesehen davon, dass es mit Englisch zu tun hat. César, mein Tutor und der Schulleiter, ist jedoch ein überaus freundlicher und hilfsbereiter Mensch, der jedoch unglaublich viel zu tun hat und daher dann doch manchmal durcheinander kommt. Als wir uns dann direkt sprechen konnten, waren alle Problemchen schnell beseitigt. Ich bin in Madrid gelandet und dann per Zug weiter nach Albacete gefahren, von wo er mich dann abends um 11 Uhr abgeholt hat. Wir sind dann zusammen essen gegangen und – natürlich – hat er mich eingeladen. Denn um das Bezahlen herrscht hier in Spanien sehr oft ein regelrechter Kampf, den der Lauteste und Ausdauerndste gewinnt. Das ist eine Eigenart, die ich vorher noch nicht wirklich bemerkt hatte. Nachts um ein Uhr hat er mir dann noch das Wichtigste im Ort gezeigt und am nächsten Tag wurde mir auch die Schule gezeigt und ich wurde den Klassen mit den Lehrern vorgestellt. Es ist eine kleine (336 Schüler, um die 25 Lehrer), katholische Privatschule, in der dauerhaft einige Nonnen leben, die jedoch keine Roben tragen. Insgesamt ist die Schule sehr freundlich, hell, fröhlich und spanisch–laut, was man bei einer katholischen Privatschule wohl nicht zwingend erwartet. Es gibt viele junge Lehrerinnen und Lehrer und die Nonnen wirken eher wie freundliche, aber bestimmte Großmütter, die sich immer freuen, einen zu sehen.
Ich lebe hier in einer WG direkt am Plaza Mayor, damit im Zentrum des Ortes und erreiche alles Wichtige (Supermärkte und andere Läden, Schwimmbad, Cafés, Bars und Restaurants) in höchstens zehn Minuten zu Fuß. Zur Schule bspw. komme ich innerhalb von fünf Minuten. Die Wohnung selbst ist sehr groß, hat zwei Wohnzimmer, zwei Badezimmer und drei Schlafzimmer. Nach zwei Tagen kam noch die zweite Freiwillige –Kate (25) aus Moskau – dazu und ein paar Tage danach noch María, eine junge Lehrerin, die zum ersten Mal unterrichtet und hier für drei Monate eine andere Lehrerin vertritt.
Die ersten zwei Wochen fühlten sich viel mehr wie ein Urlaub an: 25 Grad, Sonne und fast nur Freizeit. (Inzwischen hat sich das Wetter aber dem Herbst angepasst: Morgens 5 Grad, immer häufiger Regen und Wind.) Wir haben den Ort kennengelernt, waren mit César im Schloss von Belmonte bei einem Mittelalterturnier, haben Albacete besucht und dort Tapas y Caña zu uns genommen. Hierbei geht man von Bar zu Bar, isst überall eine Tapa und trinkt ein Glas Bier dazu; Wein ist aber natürlich auch möglich. Wenn man merkt, dass der Alkohol Wirkung zeigt, lässt man den Rest einfach stehen – unvorstellbar für uns Deutsche BIER stehenzulassen! Aber durch diese Kombination sieht man nur sehr selten betrunkene Spanier, was durchaus nicht schlecht ist.


Spanier gehen in jedem Fall sehr gerne und sehr häufig in Bars und Restaurants. Dabei kann man sie auch am besten kennenlernen. Man geht mit den Kollegen, Bekannten, Freunden und Freunden von Freunden essen und begrüßt sich typisch spanisch herzlich mit Küsschen links und rechts. Ich erinnere mich noch, wie ich das als Kind höchst merkwürdig und beschämend fand, heute allerdings ist das für mich ganz normal. (nicht aber unter Männern!) Spanische Mahlzeiten in größeren Gruppen kann man schon fast als Gelage bezeichnen: In jedem Fall drei Gänge, viel zu trinken, laute & fröhliche Gespräche und hinterher ist der Tisch dreckig wie sonst was. Sobald man Spanisch spricht und in Spanien ist, nimmt man diese Lebenshaltung sofort ein: Man nimmt Ampeln kaum wahr, unterbricht den anderen beim Gespräch, wird temperamentvoller und chaotischer. Ich könnte mir dabei hingegen nicht vorstellen, mich ebenso in Deutschland zu verhalten; das würde einfach nicht zu uns passen.
Auch wenn ich persönlich die späteren Essenszeiten der Spanier sehr zu schätzen weiß und viel lieber um neun oder zehn zu Abend esse als um sechs Uhr, kann und will ich mir das ordentliche Frühstück nicht abgewöhnen. Deswegen bin ich sehr froh, hier einen Aldi gefunden zu haben, bei dem ich deutsches Brot (sogar Schwarzbrot!) bekommen kann. Das würde ich doch sehr vermissen. Auch Schokolade, Bier und einige weitere Kleinigkeiten sind aus Deutschland einfach besser. Das haben mir sogar Spanier bestätigt, die sonst immer sehr stolz auf ihre regionalen Produkte sind. Den Großteil besorge aber auch ich bei Mercadona und in den kleinen Geschäften am Straßenrand, die von drei bis fünf Uhr geschlossen sind. An die Siesta kann man sich ebenfalls schnell gewöhnen!
In der ersten Zeit haben wir auch alles Nötige an Bürokratie erledigt, wobei es bei mir als EU Bürger sehr viel einfacher war, als für Kate als Russin, die noch einige weitere Dokumente benötigte. Ein Bankkonto habe ich zwar immer noch nicht, aber das kommt ja noch. Man muss sich auch nicht zu sehr hetzen, denn hier in Spanien ist man da gleich entspannter.
Nach zwei Wochen ging dann auch die Arbeit so langsam los. Dazu eine kurze Erklärung des spanischen Schulsystems: von 3 bis 5 Jahren ist man in der Educación Infantil (EI), der Früherziehung, von 6 bis 11 in der Educación Primaria (EP), einer Verbindung von Grundschule und SEK I und dann von 12 bis 15 (in Ausnahmen bis zu 17 Jahre) in der Educación Secundaria Obligtoria (ESO), der verpflichtenden SEK II. Anschließend folgte noch zwei Jahre lang das Bachillerato, das Abitur, welches jedoch an weiterführenden Schulen absolviert wird.
Angefangen habe ich mit der ESO, die ich in Gruppen von ca. sechs Leuten mittwochs und freitags betreue. (Sechs Leute entspricht einem Viertel der Klasse/des Jahrgangs, nach der Hälfte der Zeit wird gewechselt; Kate hat die andere Hälfte der Klasse, sodass eine Hälfte bei uns Freiwilligen und die andere bei dem Lehrer ist, der seinen Unterricht somit ein wenig fortführen kann.) Spanier haben grundsätzlich größere Schwierigkeiten mit dem Erlernen von Fremdsprachen als wir, da die Aussprache für sie sehr schwierig sein kann. Z. B. gibt es im Spanischen fünf Vokale und im Englischen 12, was das Problem ganz gut veranschaulicht. Nichtsdestoweniger haben viele der Kinder gesagt, dass sie es mögen, Englisch zu lernen und mit einigen kann man auch bereits sehr gut auf Englisch reden.
Mit den jüngeren habe ich erst vor wenigen Tagen angefangen. Mit den ganz Kleinen sind Kate und ich zusammen in den Klassen, hören einfache Lieder, tanzen dazu und spielen Spiele. Dabei fühlt man sich zwar ein wenig seltsam, aber es sieht einen schließlich keiner, da kann einem das ziemlich egal sein… Mit den etwas Älteren muss ich noch einen guten Mittelweg finden. Das System ist genauso wie mit den ältesten, nur mit der Einschränkung, dass wir die Primaria bloß einmal die Woche sehen. Mit diesen Gruppen spreche ich dann sowohl Englisch als auch Spanisch, hatte bis jetzt jedoch erst eine Stunde.
Jeden Montag haben wir frei, um den Unterricht vorbereiten zu können. Der einzige Termin ist der Spanischunterricht, den wir beide, getrennt voneinander, von zwei Studentinnen in der Schule bekommen. Drei Mal jeweils eine Stunde treffen wir uns und können üben. Auch außerhalb dieser Zeit, waren wir vier abends zusammen mit César und einigen essen und anschließend noch in einer kleinen Diskothek. Hier wird sehr viel Reggaeton gespielt; typische spanische Discomusik, die man gar nicht richtig beschreiben kann. Sie regt auf jeden Fall zum Tanzen an, wenn auch nicht zu den typischen lateinamerikanischen Tänzen wie Cha Cha oder Jive.
Von der Schule aus haben wir auch schon zwei Exkursionen gemacht, von denen wir immer erst recht kurz zuvor erfahren haben. Die erste Exkursion ging mit den Sechs- und Siebenjährigen in die Nähe von Albacete in ein Zentrum für Genesung von Wildtieren (hauptsächlich Vögeln) und die zweite zum Filmfestival von Albacete, wo ein Regisseur einiges erzählt hat und wir einige Kurzfilme angesehen haben, wobei auch einige deutsche dabei waren.
Die ersten Tage war ich immer sehr durcheinander was die Sprache/n angeht. Ich habe nur noch in „Spanglish“ gedacht und gesprochen. Abends habe ich mich dann immer sehr gefreut, wieder Deutsch sprechen zu können (per Skype, beim Videos gucken usw.). Inzwischen denke ich wieder nur noch auf Deutsch, weil ich ungefähr zu gleichen Teilen Deutsch, Englisch und Spanisch nutze. Englisch v.a. mit Kate, da sie noch kein Spanisch kann und deswegen spreche ich auch mit den Spaniern Englisch, wenn Kate dabei ist. Dennoch habe ich schon nach wenigen Tagen bemerkt, dass sich mein Spanisch verbessert hat. Mein größtes Problem sind selbstredend Vokabeln und auch die Grammatikregeln muss man sich immer wieder vor Augen führen, da es schon das ein oder andere unregelmäßige Wort gibt, das einfach nicht in meinen Kopf will. Eine weitere Kuriosität ist, dass Kate und ich viele Gemeinsamkeiten zwischen Deutsch und Russisch bemerkt haben! Viele Worte, die ich auf Deutsch sage, klingen sehr ähnlich in Russisch. (Andersrum hat es aber interessanterweise noch nie geklappt…)
Nachdem in dem ersten Monat so viel passiert ist, kam einem die Zeit doch sehr kurz vor. Meine Familie hat mich hier auch bereits besucht, da sie diese Herbstferien ohnehin in Spanien (Madrid und Denia bei Valencia) verbringen wollten. Unterwegs sind sie dann für ein paar Tage hier im Ort geblieben, wir haben die Stadt Cuenca (sehr empfehlenswert!) besucht und nachdem sie an der Küste waren sind wir noch zusammen für drei Tage in Madrid gewesen. César hat mir dafür sofort einen Tag freigegeben, wollte mich gar die ganze Woche mit nach Denia schicken, aber das war dann leider nicht möglich, weil das Hotel bereits ausgebucht war, der Mietwagen viel zu klein für weiteres Gepäck war und ich es auch nicht so gut gefunden hätte, so früh schon Urlaub zu nehmen und den Unterricht ausfallen zu lassen.
Jetzt freue ich mich jedenfalls auf die nächsten Monate und von Heimweh ist noch keine Spur!



In Cuenca - der zweitschönsten Stadt Kastilien-La Manchas

Río Júcar

Madrid - im Retiro